Die von Text und drei Malereien begleitete Videoinstallation «mains d’oeuvre» hinterfragt auf subtile Weise die Bedeutung von Worten und Meinungen sowie deren Rechte. Durch die Gesten weisser Hände reflektiert Monika Emmanuelle Kazi die soziale Hierarchie, in der wir alle gefangen sind.
In ihrem Text stellt sich die Künstlerin eine dystopische Gesellschaft vor, in der Sprache und Meinungen monetisiert werden. Dabei beschäftigt sich Kazi mit folgenden Fragen: Sind wir noch frei in unseren Handlungen und Meinungen oder leitet uns das Bild, das wir öffentlich projizieren wollen, bei unseren Entscheidungen? Wenn unsere Reden und Meinungen eine Währung wären, wer wäre dann der reich und wer würde in Armut leben? Wären Sie bereit, Ihr Recht zu sprechen, zu verkaufen, um zu überleben?
Das Thema mag auf den ersten Blick moralisierend wirken, Kazi weiss es jedoch mit Scharfsinn und Feingefühl zu untersuchen, indem sie Selbstreflexion und Fiktion in den Fokus nimmt.
Interview mit Anne-Sophie Mlamali (ASM) und Monika Emmanuelle Kazi (MEK)
ASM: Wenn ein Star in Paris ankommt, wird er immer gefragt, wie ihm Paris gefällt, deshalb wollte ich schon immer die Frage stellen: Wie gefällt dir Luzern?
MEK: Haha, also ich finde Luzern toll! Es ist eine nette kleine Schweizer Postkarten-Stadt und gleichzeitig spürt man, dass es hier Leben gibt.
ASM: Deine Ausstellung heisst HANDSHAKE, was für eine Bedeutung haben Hände für dich?
MEK: Hände sind für mich eine Obsession. Weil ich merke, dass es ein Motiv ist, das nach und nach in meiner Arbeit auftaucht. In meinen Texten spreche ich oft von dieser Beziehung zur Hand, auch von meinen Händen, und ich beschreibe sie. Diese Körperteile faszinieren mich sehr, weil sie mit Lebenslinien gezeichnet sind und das Imaginäre greifbar machen. Letztes Jahr habe ich für die Gruppenausstellung Weaving Home im Limbo Space in Genf eine Performance-Chiromantie gemacht, bei der ich in den Linien der Hand gelesen habe, prospektive Räume... meine ganze Arbeit ist an verschiedenen Formen von Räumlichkeit interessiert, am Körpergedächtnis und daran, wie der Körper Haptik verdaut. Meine Hände waren die ersten Werkzeuge, die mich das Verständnis von Raum durch Berührung lehrten.
ASM: In deiner Videoarbeit hast du dich für die Darstellung weisser Figuren und weisser Männerhände entschieden. Weshalb?
MEK: Ich frage mich, was eine weisse Hand ist. Was ist mein Standpunkt zu diesem Bild und was repräsentiert es in unserer Gesellschaft? Mir schwebte das altmodische Interview-Schema vor, bei dem wir zu jemandem nach Hause kommen, in seine Intimsphäre, um Fragen zu diskutieren. Diese langen Interviews, visuellen Monologe, die oft von weissen, männlichen Künstlern, Intellektuellen, grossen Denkern oder Literaten geführt wurden. Bevor ich mich für weisse Hände interessierte, wollte ich mich auf die Hand des Intellektuellen konzentrieren, diejenige, die das Denken erschafft und damit diejenige, die Denkweisen, Normen und Konditionierungen und damit Gesten schafft, die in bestimmten sozialen Umgebungen und in bestimmten Lebensräumen verwendet werden. Ich wollte eine Art fiktives Interview in einem häuslichen Raum machen, ein bisschen gemütlich, ein bisschen spiessig, mit drei jungen Männern, die noch nicht ganz konditioniert sind in dieser Rolle, Männer aus guter Familie zu sein, die noch an der Schwelle zu dem stehen, was sie sein wollen, aber eigentlich nicht wirklich sind. Wir sind alle schon in unseren Rollen, weil wir unterschiedlich erzogen wurden. Ich interessere mich für diese jungen Männer, wie ihre Gesten natürlich zu ihnen selbst, zu ihren Körpern, aber auch zu ihren Lebenserfahrungen und ihrer Erziehung passen. Sie sind keine professionellen Schauspieler. Ich wollte wirklich, dass die Gesten völlig augenblicklich sind. Im Gegensatz zu dem Text, der ihnen beigebracht wurde, war es interessant zu sehen, wie meine Worte und meine Gedanken durch ihre natürlichen Interpretationen umgedacht wurden.
Ausserdem haben die drei Männer unterschiedliche Herkünfte, norwegisch, iranisch, französisch, schweizerisch, türkisch... Für mich war es interessant, dass die Kamera ihre Gesichter nicht sieht. Und dass das Auge automatisch weisse Hände sieht, das war meine Art, diesen Archetypen der weissen Hand zu hinterfragen, was ist das eigentlich? Die weissen Hände des Westens, der Europäer? Wohingegen in der Realität jemand, der halb Norweger und halb Iraner ist, nicht behaupten würde, ein völlig weisser Mann zu sein. Ich wollte mit diesem Bild spielen, das weissen Männern auferlegt wurde und gleichzeitig mit dem Bild, das sie in dieser Gruppe umgibt, da ich selbst in einer Gruppe von schwarzen Frauen blockiert wurde. Indem ich mit dem Archetypen einer anderen Hautfarbe spiele, stelle ich den Spiegel auf, der mir auf Grund meiner eigenen Hautfarbe entgegengesetzt wird.
ASM: Was mich an deiner Arbeit beeindruckt, ist diese Spiegelung, dein beobachtender, sanfter Blick. An wen oder was richtet sich deine Kritik?
MEK: Nun, gerade in all diesen Worten, diesen Etiketten, in denen wir uns selbst nicht mehr sehen können und sehen, dass wir uns selbst gefangen halten, Worte, von denen wir uns gerne befreien würden. Und Sie sprachen von Sanftheit, ich denke, das liegt daran, dass ich immer versuche, es von Fall zu Fall zu machen. Ich versuche, nicht zu verallgemeinern, denn mein ganzes Leben lang wurde ich damit konfrontiert, was es heisst, in einer ethnischen Gruppe oder einem Geschlecht, verallgemeinert zu werden. Mit dieser Sanftheit möchte ich zeigen, dass es mehr gibt als das, was wir bereits zu sehen glauben.
ASM: In der Videoinstallation erzeugen die Videoübergänge eine Art Choreografie, die das Publikum durch den Raum führt. Was ich wissen wollte, ist in Bezug auf die Holzrahmen, wie bist du auf die Idee dieser Form und der Glühbirnen im Inneren gekommen?
MEK: Die Bilder fielen mir ein, als ich das Video fertigstellte. Die Idee, diese archetypische weisse Hand selbst zu malen und mit Farbe zu arbeiten, zu sehen, wie man eine weisse Hand nachbilden kann, indem man verschiedene Farben mit der Farbe mischt. Mit den Farben wollte ich Objekte als Zusatznutzen herstellen. Und die drei Protagonisten, haben mich an die Zahl 3 denken lassen, die eine christliche Zahl ist hahah.. ich wollte Ikonen malen. Sie können in mehreren Bedeutungen gelesen werden; eine Bildikone, eine heilige Ikone. In meiner Vorstellung ist eine Ikone immer von einem hölzernen Rahmen umgeben, um hervorgehoben zu werden, und ich wollte meine eigenen hölzernen Rahmen machen. Ich stellte mir vor, dass die Leute kommen, um diese Ikonen an diesen Art von dunklen Orten, wie Klöstern, mit einer Kerze zu sehen und sie dann irgendwo hinzustellen und durch das Aufstellen der Kerze würde das Wachs schmelzen und den Rahmen zum Schmelzen bringen. Nur, dass wir uns im Jahr 2021 in einem Kunstraum befinden und die Kerze eine LED-Birne in Form einer Flamme ist.
ASM: Dein letztes Wort?
MEK: Ich möchte mich bei Deniz, Kian und Lucien bedanken, meinen 3 Musen... und auch bei Loren, Ianne und Julie.
Monika Emmanuelle Kazi (*1991) ist zwischen Pointe-Noire im Kongo und Paris aufgewachsen und lebt aktuell in Genf. Sie studierte Interior Design in Paris und Brüssel. 2018 begann sie ihren Bachelor in Visual Arts an der HEAD in Genf und wird im Sommer 2021 den Master abschliessen.
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Korina GallikaAusstellungsdokumentation: Andri Stadler.
Die Ausstellung wurde finanziert durch: Stadt Luzern - Kultur und Sport, Pro Helvetia, Regionalkonferenz Kultur Region Luzern (RKK), Casimir Eigensatz Stiftung, Oertli-Stiftung